„Fürchtet euch nicht!“ – Diese Wendung findet sich unzählige Male in der Bibel und gehört mit zu meinen biblischen „Lieblingssätzen“. Fast formelhaft ploppt dies immer wieder auf, ob bei den Hirten auf dem Feld (Lk 2), im schwankenden und zu kentern drohenden Boot (Mk 6) oder vor dem leeren Grab (Mt 28). An anderer Stelle in diesem Blog habe ich über den Wert von diesem „Fürchtet euch nicht!“ im Gegenüber zu billigen Vertröstungen à la „Don’t worry, be happy!“ nachgedacht (siehe „Ein biblischer Mutmacher“).

 

Fürchtet euch nicht?!

Angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen durch Corona sowie die gesundheitlichen, sozialen, wirtschaftlichen … Konsequenzen wollte ich das „Fürchtet euch nicht!“ wieder hervorholen und sein trostspendendes Potenzial für mich reaktivieren.

Doch irgendwie mag mir das gerade nicht so recht gelingen – wofür nicht zuletzt eine gute Kollegin verantwortlich ist: In einem Gespräch kamen wir auf das „Fürchtet euch nicht!“ und ich wollte schon begeistert meine biblische Mutmacheroption in die Waagschale werfen. Da hat sie mich fundamental ausgebremst: Sie kann das hören, aber es bewirkt nichts Tiefgehendes bei ihr. Die Worte kommen bei ihr nicht an – zumindest aktuell nicht.

 

Ich fürchte mich aber!

Das hat mich nachdenklich gemacht. Und wenn ich ehrlich bin: So gern ich das „Fürchtet euch nicht!“ an sich habe – auch bei mir dringen diese Worte aktuell nicht so richtig in mein Herz vor. Zu groß ist meine existenzielle Verunsicherung. Zu allgegenwärtig ist die Sorge um die körperliche und seelische Gesundheit – von mir lieben Menschen genauso wie von mir selbst. Klar ist das menschliche Leben per se fragil und endlich – doch selten in meinem Leben ist mir dies so deutlich vor Augen geführt worden, selten war mir diese Seite allen sterblichen Lebens so präsent. Und weitere Sorgen und Nöte kommen hinzu.

In dieser teils chaotisch anmutenden, von Unsicherheit gekennzeichneten Zeit dringt das „Fürchtet euch nicht!“ gerade nicht zu mir durch. Ich höre seinen Zuspruch nicht, ich kann ihn nicht vernehmen.

 

Ein Zuspruch muss zugesprochen und gehört und angenommen werden

In meinen Augen ist dies ein wesentliches Charakteristikum des biblischen „Fürchtet euch nicht!“: Es ist keine refrainartige Floskel zum Selbsteinreden, sondern stets ein ermutigender Zuspruch von außen – bevorzugt von Gott, Engeln als Boten Gottes, Jesus als Sohn Gottes. Diesen tröstenden Zuspruch kann ich mir nicht selbst sagen, sondern er muss mir gesagt werden und ich muss ihn hören und auch annehmen (können).

Bei mir persönlich scheint es da aktuell irgendwie zu haken. Wobei: Es wäre anmaßend, würde ich Gott unterstellen, mir keine Botschaft im Sinne des „Fürchtet euch nicht!“ zuzuflüstern. Dann wird es wohl doch eher daran liegen, dass ich nicht hörbereit, nicht aufnahmebereit bin.

 

 Was tun? Bin ich kleingläubig?

Wenn ich in die Psalmen schaue, dann begegnen mir da unzählige Verse, die fast beschwörend in meinen Ohren klingen wie z. B.: „Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich.“ (Ps 23,4) In diesen Corona-Zeiten fühle ich mich immer wieder wie in einem „finsteren Tal“ und sehnsüchtig erwarte ich, dass wir da durch sind.

Und unterwegs habe ich immer wieder Angst. Ich fürchte mich immer wieder – auch davor, selbst krank zu werden, dass meine Lieben krank werden, vor den unabsehbaren wirtschaftlichen und finanziellen (Langzeit-)Folgen. Nur zu gern würde ich voller Inbrunst und Überzeugung beten: „ich fürchte kein Unheil; denn …“ Nur kann ich es oft, meistens gerade nicht.

Fehlt mir der Glaube? Bin ich kleingläubig (geworden)? Was ist los?

 

Alles hat seine Zeit …

Statt „ich fürchte kein Unheil“ kommen mir vielmehr Worte wie aus Ps 55,5f. über die Lippen: „Mir bebt das Herz in der Brust; mich überfielen die Schrecken des Todes. Furcht und Zittern erfassten mich; ich schauderte vor Entsetzen.“

Gattungstechnisch gesprochen: Bei mir stehen aktuell die Klagepsalmen hoch im Kurs (und darin noch einmal die expliziten Klagepassagen) – mit Trostpsalmen und Vertrauensliedern kann ich gerade nicht so viel anfangen.

 

Eine Frage der Lebenserfahrung

Das mag etwas mit Lebenserfahrung zu tun haben, das mag an in gewisser Hinsicht mangelnder Lebenserfahrung meinerseits liegen: In zahlreichen Kursen habe ich immer betont, dass die (Gebets-)Sprache der Psalmen zutiefst erfahrungsgesättigt ist. Prägende, tragende Erfahrungen stehen im Hintergrund – auch bei Ps 23. Diese kann ich im Gebet aktivieren, zugleich nimmt das Gebet Gott in Pflicht, auch zukünftig heil- und huldvoll an mir zu handeln.

Corona ist etwas völlig Neues. In meinem bisherigen Leben gab es noch keine weltweite Pandemie. Wie gesagt: Die eigene körperliche Gefährdetheit war mir selten so bewusst. Von daher überrascht es mich, wenn ich darüber nachdenke, gar nicht mehr so sehr, dass ich mich in diesem „finsteren Tal“ ängstige und fürchte. Denn es gibt in meinem Leben kein abstrakt-pauschales „finsteres Tal“, sondern nur je konkrete – mit ihren je eigenen Finsternissen und Herausforderungen.

Natürlich kann ich mich an vergangene, „überlebte“ „finstere Täler“ erinnern – und daraus Mut und Hoffnung und Trost schöpfen – vielleicht. Vielleicht zittere ich aber auch erst einmal existenziell, erschaudere – und nehme damit ernst, wie verletzlich, sorgenbelastet und verwundbar ich bin. Und vielleicht schafft dies die Grundlage dafür, dass irgendwann der göttliche Zuspruch „Fürchtet euch nicht!“ bei mir wieder ankommen, mich ins Herz treffen kann – dass ich ihn wirklich hören, ihn annehmen kann.

Erzwingen lässt sich das nicht; vorschnell und oberflächlich wegwischen darf ich meine Angst und Furcht nicht.

 

Erzählen wir einander davon!

Was vielleicht (weiter-)helfen kann: Sich selbst und anderen davon erzählen, dass der Weg durch ein „finsteres Tal“ gut ging, dass er zu schaffen war. Gott bewahrt uns nicht vor „finsteren Tälern“, aber Gott sagt uns zu, uns durch diese „Täler“ hindurch zu begleiten. Vielleicht (hoffentlich) dürfen wir hin und wieder die Erfahrung machen, dass Gott in der größten Krise an unserer Seite ist und dass wir uns entsprechend nicht fürchten (müssen).

Davon erzählt zu bekommen und davon einander zu erzählen, das ist das, wonach ich mich aktuell sehne.

 

Beitragsbild: pixabay_BergAdder

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