Susanna greift ein in MeToo-Debatte

Dass biblische Überlieferung spannend und aktuell ist, hat in eindrucksvoller Weise die jetzt in Köln zu Ende gegangene Kunstausstellung Susanna. Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo sichtbar werden lassen.

In der zu den alttestamentlichen Apokryphen (Spätschriften) gehörende Erzählung klagen zwei lüsterne alte Richter Susanna des Ehebruchs an, nachdem diese dem begehrlichen Drängen der Alten nicht nachgeben hat. Susanna wird des Todes für schuldig gesprochen, doch ihr Gebet erweckt den jungen Propheten Daniel. In einem Kreuzverhör überführt dieser die alten Richter der Lüge. Die Alten werden zum Tode verurteilt. Susanna kehrt zu ihrem Mann zurück.

Artemisia Gentileschi: Susanna und die Alten, 1649

Diese Erzählung hat eine vielschichtige Auslegungsgeschichte erfahren. Das Spiel von Macht, Sex und Gewalt, eingebunden in das krallende Geflecht einer patriarchalen Gesellschaft, bot viel Raum für unterschiedlichste Deutungen und Perspektiven. Aus heutiger Sicht ist die Susanna-Erzählung eine großartige Befreiungs- und Emanzipationsgeschichte, in der Gott durch den jungen Daniel dem Unrecht entgegentritt und mit Susanna Partei ergreift für die Stummen und Unterdrückten.

Kathlee Gilje, Susanna and the Elders, Restored, 1998, Röntgenfilm (Ausschnitt)

Die Susanne-Erzählung wurde nicht nur in der bildenden Kunst, sondern auch in Film, Musik und Literatur aufgenommen und neu interpretiert. Die Ausstellung selbst erinnerte u.a. an Alfred Hitchcocks berühmten Film Psycho (1960), in dem die junge Marion Crane von ihrem späterer Mörder Bates durch ein kleines Guckloch im Badezimmer unter der Dusche beobachtet wird. Ausgerechnet vor dieses geheime Ausspähloch hängt der Regisseur Hitchcock ein Bild von Susanna im Bade! Dass es im Film „keine rettende Hand von oben“ gibt, kann als Hinweis auf das pessimistische Gottesbild des Katholiken Hitchcocks zur damaligen Zeit interpretiert werden.

Ähnlich macht ein kleiner Hinweis in dem Buch „Große Frauen der Bibel“ (1993) nachdenklich. Darin wird an eine 1918 erschienene Tragödie eines H.L. Wagner erinnert, in der ebenfalls kein rettender Daniel auftritt. Stattdessen ersticht der Ehemann Jojakim seine Frau Susanna, um sie vor der Steinigung zu bewahren. Auch wenn sich keine Ausgabe dieser Tragödie recherchieren lässt – handelt es sich bei dem genannten Autor vielleicht um eine Verwechslung mit dem Dichter Heinrich Leopold Wagner (1747-1779) ? – so drängt sich doch mit der verzweifelten, ausweglosen Situation von Jojakim und Susanna ein Verlorensein auf, das das Lebensgefühl vieler Menschen in den letzten Monaten des Ersten Weltkrieges widerspiegeln könnte. Alles verloren! Selbst Gott!

Es soll nicht weiter über diese und andere Adaptionen spekuliert werden. Doch unterstreichen die wenigen Hinweise, wie weit gefächert sich die Themen der alten Susanna-Überlieferung entfalten lassen.

Édouard Manet, Studie für die “Auffindung des Mosesknaben”, um 1859

Es lohnt, sich die alte Geschichte von Susanna aus der Bibel wieder einmal vorzunehmen (Daniel 13,1-64) und sich ein eigenes Bild von ihr zu machen. Der Katalog der Kölner Ausstellung beinhaltet hervorragende theologische und kunstgeschichtliche Beiträge, die unsere Diskussionen vertiefen können. In den aktuellen Debatten um Feminismus, Gerechtigkeit und religiöse Widerstandsfähigkeit kann ich mir Susanna nicht mehr wegdenken. Nach Susanna ist vor Susanna!

Lovis Corinth, Susanna im Bade, 1890

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Ausstellungskatalog

Roland Krischel/Anja K.Sevcik (Hg.), Susanna. Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo, Michael Imhof Verlag 2022

 

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