Seufzen, meine Lieblingsübung. Ich ziehe beide Schultern hoch und atme dabei tief ein, dann lasse ich sie entspannt mit einem großen Seufzer hinabsinken. Das wiederhole ich ungefähr dreimal und siehe da, es geht mir schon viel besser. In Kursen praktiziere ich das mit den Teilnehmenden, sogar manchmal bei einem Vortrag, und als Clownin mache ich die Übung mit dem Publikum. Denn es ist ja nicht irgendeine Übung, es ist ein Gebet, und das sage ich auch dazu. Römer 8 Vers 26: „Der Geist Gottes selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzer“.

Seufzend beten

Wie sehr wünsche ich mir manchmal ein gemeinsames Seufzen im Gottesdienst anstelle der vielen Worte im Fürbittgebet. Seufzend beten! Mir würden Stichwörter genügen, denn ich habe die Bilder sowieso im Kopf. Und die Augen der Menschen, die einen aus Foto- und Fernsehbildern ansehen. Hungrige Augen, traurige, verstörte, irre gewordene, tränende, zornige, verschreckte Augen. Entsetzt schaue ich zurück, traurig, wütend. Es ist ja nicht nur der zuletzt ausgebliebene Regen, der die Menschen hungern lässt. Es ist nicht einfach das Bedürfnis nach Wohlstand, das die Menschen höchst riskante Fluchtwege gehen lässt. Bei der Suche nach den Ursachen lande ich immer auch bei mir, bei meinem Wohlstand, der sich aus einer ungerechten Verteilung von Ressourcen, Gütern und Chancen auf dieser Erde speist. Ich lande bei der Skrupellosigkeit von Menschen, wenn es um Geld, Macht und Herrschaft geht. Ich lande bei der Achtlosigkeit, wie mit dem Leben anderer gespielt wird. Und ich weiß natürlich, dass alles viel komplizierter ist.

Alles seufzt

Als würde Paulus unsere heutige Situation beschreiben – der Abschnitt aus dem Römerbrief ist ein einziger Seufzer. „Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstigt.“ (Röm 8,22) Alle Welt seufzt, stöhnt und harrt. Auch die Menschen in der christlichen Gemeinde seufzen, obwohl sie sich über Unterschiede hinweg zusammengefunden haben, im Geist Gottes, als Leib Christi. Aber auch sie seufzen. Ein Seufzen über so viel Gottferne, denn was soll es anderes sein. Gott steht für Gerechtigkeit und Frieden, und dem sind wir so fern. Und so seufzt gar Gott selbst, wenn es heißt, dass der Geist uns mit unaussprechlichem Seufzen vertritt.

Erleichtert und aufgerichtet

Aus meinen Seufzübungen weiß ich, dass sie Erleichterung verschaffen. Das tiefe Einatmen und besonders das sehr tiefe Ausatmen verschaffen mir Luft und Weite. Die körperliche Spannung lässt etwas nach. Wenigstens ein bisschen Freiraum wird so geschaffen. Fast noch immer habe ich und haben die anderen nach einer solchen Übung gelacht, ein entspanntes Lachen. Das halte ich für entscheidend, um nicht im Schrecken oder der Angst feststecken zu bleiben, um wieder denk- und handlungsfähig zu werden. Und genau das will Paulus. Er will Mut machen und Hoffnung. Dazu erinnert er die Gemeinde in Rom daran, in wessen Geist sie leben. Nämlich nicht mehr in einem versklavenden Geist, der sie ohnmächtig und hoffnungslos sein lässt. Vielmehr in einem Geist der Kinder Gottes, die sich nicht zu ängstigen brauchen. Wem glauben wir letztlich? Der herrschenden Logik von Macht und Gewalt oder vertrauen wir der Kraft, die in den Schwachen mächtig ist (2 Korinther 12,9)? Dass man damit schnell belächelt wird, ist ein anderer Punkt, zu dem ich sicher später mal schreiben werde. Aber erst einmal seufze ich: Voller Leidenschaft und Sehnsucht, Trotz und Widerspruch.

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