Gedanken zu Geertgen tot Sint Jans: Geburt Christi

Mit Corona ist die Welt anders geworden.  Viele Menschen denken darüber nach, was für sie im Leben wirklich wichtig ist und was nicht!  Das wunderbare, ja traumbehaftete Bild von Geertgen tot Sint Jans über die Christnacht (um 1490) kann ein Ort sein, an dem die Fragen und Gedanken dieser Tage Raum finden können.

Das Bild tritt uns entgegen aus einer fernen, weit zurückliegenden Vergangenheit. Wir nehmen die Erinnerung wahr an die alte Geschichte von Bethlehem, sehen Maria, das Kind in der Krippe, die andächtigen Engel. Auch Ochs und Esel haben sich im dunklen Stall eingefunden, und weit draußen, im geöffneten Blick der zerbrochenen Mauer, vernehmen die Hirten die Botschaft des hellstrahlenden Engels: Fürchtet euch nicht! Siehe ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren! Ganz an der Seite, als ob er eben zur Tür hereingekommen wäre, entdecken wir noch Josef, gekleidet in einem rötlichen Gewand, still und nachdenklich.

Geertgen tot Sint Jans: Geburt Christi, um 1490, Öl auf Eiche, 34 x 25 cm, National Gallery London

Doch wir spüren auch Befremden in diesem Bild. Das Kind liegt nackt in einer harten, hölzernen Krippe. Nicht in Windeln gewickelt. Kein Stroh, nichts Weiches! Und Maria – sie sieht nicht so aus, als ob sie gerade ein Kind geboren hätte!  Ihre Kleidung ist sauber geordnet, die Haare fallen leicht auf ihr schönes Gewand. Andächtig hält sie die zusammengelegten Hände und freut sich über das neugeborene Kind.

Geertgen tot Sint Jans, ein junger niederländischer Maler und Laienbruder im Johanniterkloster in Haarlem, nimmt uns mit seinem Bild mit hinein in eine berühmte Bildtradition des Mittelalters!

Sie geht zurück auf eine Weihnachtsvision von Birgitta von Schweden. Darin beschreibt diese – nach einer Reise ins Heilige Land (1372) – wie sie das Kind nackt auf Boden der Geburtsgrotte liegen sah. Das Licht, das von dem göttlichen Kind ausging, „strahlte heller als die Sonne“. Es erleuchtete mit seinem Glanz alle, die sich ihm zuwendeten. Gottes Liebe durchströmte, so Birgitta von Schweden, das Leben – hier und jetzt!

Künstlerinnen und Künstler haben die Überlieferung der Birgitta von Schweden in den folgenden Jahrhunderten vielfältig aufgegriffen. Das Wechselspiel von göttlichem und irdischem Licht, das Spiel unserer inneren und äußeren Bilder vereinigt sich zu einer erfüllenden, alles Dunkel überwindenden Vision und Lebenshaltung. Das Licht, das aus der Krippe strahlt, – so die Botschaft – ist heller als all unsere Ängste, unser Kleinmut, unsere Hoffnungslosigkeit!

Unser Bild erzählt deshalb mehr als nur ein historisches Ereignis oder eine alte Geschichte! In der Tradition spätmittelalterlicher Frömmigkeit und Mystik lädt es uns ein, nachzudenken über unsere eigenen Möglichkeiten, unsere Ängste, ja die in jeder und jedem schlummernde Kreativität und Fantasie. Die Betrachtung des Kindes beschreibt die Chance, selbst neu zu werden! Wer sich mit den Engeln, mit Maria oder auch Josef mit hinein begibt in dieses Geschehen, wird erleuchtet!

Krippenbauprojekt Ronnenberg 2020

Weihnachten ist kein äußeres Geschehen, so sehr wir auf einen Anstoß von außen angewiesen sind! Weihnachten ist – zumindest für einen gläubigen Menschen – ein inneres Geschehen! Ich kann und darf neu werden. In mir soll und darf etwas neu beginnen. Meine Hoffnung soll wachsen, meine Liebe mich und andere neu berühren. Das Kind in der Krippe bin ich!

Ob das alte Bild auch uns noch berühren und zu uns sprechen kann? Vermutlich müssen wir uns daran erinnern, was die Menschen bereits im Mittelalter wussten und weitergegeben haben:

Wer sich auf den Weg zu dem Kind in der Krippe begibt, braucht Zeit. Nur wer Zeit mitbringt, kann sehen und wahrnehmen.

Wer sich auf den Weg zu dem Kind in der Krippe begibt, braucht Konzentration: Nur wer sich innerlich auf etwas ganz ausrichten kann, findet sein Ziel.

Wer sich auf den Weg zu dem Kind in der Krippe begibt, braucht Geduld. Nur wer bereit ist, einen Weg zweimal zu gehen, bleibt geleitet.

Wer sich auf den Weg zu dem Kind in der Krippe begibt, braucht Sehnsucht: Nur wer etwas sucht, wird auch etwas finden.

Maria schaut freudig und liebevoll auf ihr Kind. So dunkel die Nacht auch ist – das Licht dieses Kindes erfüllt die Welt.

Steffen Marklein 24.12.2020

 

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