Nur wenige Worte des Dichters Friedrich Hölderlin haben einen wirklichen Bekanntheitsgrad erlangt.

Friedrich Hölderlin (1770-1843)

Die hier zitierten Worte aus Hölderlins großem Patmos-Gedicht (1803) Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch gehören dazu. In Zeiten von Corona wirken sie wie ein Durchhaltespruch. Doch worin gründen diese Worte? Dass diese Worte missverstanden, ja missbraucht wurden, wissen wir spätestens seitdem man deutschen Soldaten 1943 Hölderlin-Gedichte in den Rucksack steckte und die Soldaten dann an die Front zogen.

Natürlich ist hier nicht Platz, Hölderlins berühmten Hymnus ausführlich dazustellen. Doch schon ein kleiner Zeilensprung an den Gedichtanfang lässt erahnen, dass das Thema ein anderes ist als uns die zitierten Worte in ihrer Allgemeinheit suggerieren.

Patmos ist eine griechische Insel im Ägäischen Meer. Auf ihr gelangte nach neutestamentlichem Zeugnis der Seher Johannes zu der Vision eines neuen Himmels und einer neuen Erde. (Off 1,9: 21,1)

Wo aber wächst das Rettende?

Hölderlins Gedicht knüpft an diese biblische Überlieferung an. Es beginnt mit einer Frage nach dem Geheimnis Gottes: Nah ist / Und schwer zu fassen der Gott. Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch. Gott ist nah, wird gesagt, und doch bleibt er für uns Menschen schwer zu fassen. Seine Verborgenheit lässt Gott als abwesend erscheinen. In dieser Abwesenheit aber kann der Gott gänzlich verloren gehen. Darin verspürt Hölderlin die große Gefahr für die Gegenwart. Bis heute können wir diesem Gedanken ohne große Schwierigkeiten folgen. Wo aber wächst das Rettende?

Hölderlin widmete seine Hymne dem frommen Landgrafen von Homburg. Ob er ihm zuliebe an späterer Stelle an die stillleuchtende Kraft aus heiliger Schrift erinnert hat? Gewiss erscheint, dass Hölderlin darin für sich keine befriedigende Antwort sah. Hölderlin nimmt in seinem Hymnus vielmehr Abschied von einer großen die Vergangenheit beschwörenden Geschichte des christlichen Glaubens. Und auch die von ihm geliebte griechische Götterwelt lässt sich für ihn nicht einfach neu beleben.

So weitet er seinen Blick. Denn sein Wissen um das Göttliche in der Welt, ja im Menschen und allen Sphären des Himmels, ist nicht verloschen. Hölderlin nimmt zunächst die Vielfalt von Religionen und Kulturen wahr!  Wie verschiedene, ja erhabene Berge stehen sie reihum, und manche leichtgebaueten Brücken führen sie – über den Abgrund von Zeit und Geschichte – bisweilen doch zusammen. In dieser Zusammenschau, die immer mehr sieht als das eigene, öffnet sich für ihn das Neue. Rettend ist, was das Trennende überwindet!

Gemeinsame Suchbwegungen

Hölderlin hat sein Gedicht Patmos mehrfach überarbeitet. Er war mit ihm nicht zufrieden. So findet sich in einer späteren Fassung eine aufschlussreiche Veränderung. Sie vertieft seinen Blick. Jetzt lauten die ersten vier Zeilen: Voll Güt ist. Keiner aber fasset / Allein Gott. / Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch. Gott ist voller Güte, so hier die große Gewissheit! Doch allein wird niemand sein Geheimnis fassen können. Auch das Geheimnis des eigenen Lebens, die eigene Geschichte, Religion und Kultur – sie bleiben einer großen Gefahr ausgesetzt, wenn sie nur auf sich bezogen werden. Unsere Gegenwart braucht gemeinsame Suchbewegungen. Sie allein eröffnen uns angemessene Sichtweisen auf Gott, die Welt und unser Leben.

Friedrich Hölderlin: Wie Meeresküsten | Homburger Folioheft

Friedrich Hölderlin, dessen 250. Geburtstag in diesem Jahr begangen wird, ist bis heute einer der größten Dichter deutscher Sprache. Letztlich lag für ihn alle Zukunft in der Offenheit und Unverfügbarkeit der Poesie. Nicht zufällig lautet das letzte Wort seines großen Hymnus Gesang.

Literatur

Karl-Heinz Ott: Hölderlins Geister, 2019

Daniela Danz: Das philosophische Licht um mein Fenster. Über Friedrich Hölderlin, 2016

Lesung

Martin Ploderer: Patmos von Friedrich Hölderlin (20.3.2020)

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