Vor der UNO in New York ist bekanntlich ein Denkmal (im Jahr 1959) aufgestellt worden. Es handelt sich um ein Geschenk der Sowjetunion, eine Bronzeskulptur, welche in der Manier des sozialistischen Realismus einen Mann darstellt, der unter gewaltigen Hammerschlägen das Umschmieden eines Schwertes in Angriff nimmt und damit die prophetische Vision aus Jes 2,2–5 zu realisieren beginnt.

Skulptur von Jewgeni Wutschetitsch

Das Motiv der „Schwerter zu Pflugscharen“ ist bekannt, das zum Slogan der kirchlichen und politischen Friedensbewegung in Ost- und Westdeutschland gegen die Aufrüstung Europas mit atomaren Mittelstreckenraketen in den 1980er Jahren wurde.

Schmiede-Aktion | Kirchentag in Wittenberg 1983

Weit weniger bekannt ist der Rechtsbezug, den die Vision von der Völkerwallfahrt zum Zion aufweist. Wir sind es nämlich immer noch gewohnt, den Vers 4 bei Jesaja im Sinne der Lutherbibel als Gericht unter den Heiden und als Bestrafung der Völker zu verstehen. Nach dieser Lesart besagt die Vision Jesajas:

Die Heiden kommen nach Jerusalem, um über Gottes Wege belehrt zu werden, d.h. über die von Gott geforderten Verhaltensweisen, wie sie in dem Gesetz, d.h. dem mosaischen Gesetz, niedergelegt sind. Darauf wird Gott die Heiden einem strafenden Völkergericht unterziehen. Es geht also nicht um irgendeine Art von göttlicher Mediation, sondern um den Vorgang einer Bekehrung und Bestrafung der Völker. Und nur weil die Heiden sich zum Judentum bzw. Christentum bekehrt und das göttliche Gericht erfahren haben, sind sie bereit, auf Waffen zu verzichten.[1]

Ein göttliches Schiedsgricht

Dieses Textverständnis stößt – wie 2011 der Münsteraner Alttestamentler Rainer Albertz gezeigt hat – auf erhebliche philologische Schwierigkeiten. Die hebräische Wendung heißt nicht etwa: „Er (JHWH) wird richten die Heiden“, sondern „er wird Recht sprechen zwischen den Völkern“. Das heißt, es geht nicht um ein göttliches Strafgericht an den Heiden, sondern um ein göttliches Schiedsgericht zwischen den Völkern, „um einen rechtlichen Ausgleich zwischen den Völkern, der auch durch Einsatz pädagogischer Mittel erreicht werden kann. Damit hat unser prophetischer Text in der Tat mit Mediation zu tun.“[2] Die Aussage ist in Jes 2,2–5 also folgende: Weil Gott auf dem Zion zwischen Völkern Recht spricht und so ihre Konflikte schlichtet, können sie freiwillig auf ihre Waffen verzichten. Albertz schreibt:

[I]n einer fernen Zukunft [wird] der Zion, der Jerusalemer Tempelberg, zum höchsten Berg der Region erhöht werden. Dann werden alle Völker zu diesem weithin sichtbaren Markierungspunkt der Welt herbeiströmen, um sich dort ihre Konflikte schlichten zu lassen. Und dabei üben die konfliktschlichtenden Weisungen des dort anwesenden Gottes eine solche Attraktivität aus, dass die Völker freiwillig kommen und die göttlichen Schiedssprüche wie selbstverständlich akzeptieren. Darum werden sie – nach Hause zurückgekehrt – selber ihre überflüssig gewordenen Waffen zerstören und die in ihnen gebundenen Rohstoffe in nützlicheres Ackergerät umwandeln. So wird die kriegerische Austragung der Konflikte aufhören und das Kriegshandwerk vergessen werden wie andere überflüssig gewordene Kulturtechniken auch. Der Text handelt also in der Tat von einer wunderbaren göttlichen Friedensvermittlung, einer Art himmlischer UNO in Jerusalem, die mit ihrer gelingenden Mediation alle Schwierigkeiten und Misserfolge unserer irdischen UNO weit hinter sich lässt.[3]

Internationaler Gerichtshofs | Friedenspalast in Den Haag

Worin liegt die besondere Bedeutung dieser prophetischen Vision von einer durch Gott befriedeten Welt für uns heute? Grundsätzlich wird man festhalten können: Wir Menschen brauchen Visionen: „Ein Volk ohne Visionen geht zugrunde“, heißt es in Spr 29,18. Es kommt darauf an, an welchen Utopien wir uns orientieren, auch und gerade friedenspolitisch.

Eine positive Vision

Bei der positiven Utopie in Jes 2,2–5 handelt es sich um einen prophetischen Gegenentwurf zu einer Welt sich bekriegender Mächte, in der es um menschliche Machtentfaltung geht. In dieser Vision lässt sich Gott eben nicht machtpolitisch vereinnahmen. Er spricht über alle Völker Recht und wird so von allen Machtansprüchen seines eigenen Volkes getrennt und von allen Völkern anerkannt. Wir benötigen diese prophetische Vision, dass die Konflikte der Völker geschlichtet werden können und sie freiwillig auf ihre Waffen verzichten. Das generelle Gewaltverbot in Art. 2 (4) der UN-Charta geht, wenn auch nicht vom Waffen-, so doch von einem freiwilligen Gewaltverzicht aus. Eine gewisse Nähe zur biblischen Tradition ist hier unverkennbar. Wichtig scheint mir auch der biblische Realismus zu sein, „dass diese große biblische Vision eines universalen Friedensreiches durchaus damit rechnet, dass es noch Konflikte zwischen den Völkern gibt und weiter geben wird, nur ihre militärische Austragung wird aufhören.“[4]

Wir benötigen solche Visionen, um auf gute Ideen zu kommen, um Orientierung zu erhalten. Politik benötigt Maßstäbe. Es braucht ein Mehr als das Diesseits, es braucht ein noch Ausstehendes, damit wir uns nicht einfach mit dem Diesseits und den bestehenden Verhältnissen abfinden, sondern weit die Flügel ausspannen und auf das Größere hoffen: „Weil das, was ist, nicht alles ist, kann das, was ist, sich ändern.“[5] Es ist geradezu revolutionär, daran zu glauben und darauf zu vertrauen, dass das Schönste eben noch kommt.

[1]   Rainer Albertz, Eine himmlische UNO. Religiös fundierte Friedensvermittlung nach Jes 2,2–5, in: Gerd Althoff (Hg.), Frieden stiften. Vermittlung und Konfliktlösung vom Mittelalter bis heute, Darmstadt 2011, (37–56) 39.

[2]   A.a.O., 40.

[3]  A.a.O., 41f.

[4]  R. Albertz, Der Mensch als Hüter seiner Welt. Alttestamentliche Bibelarbeiten zu den Themen des konziliaren Prozesses, Stuttgart 1990, 128

[5]  Diese Formulierung verdanke ich Jürgen Ebach, „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Biblischer Aufruf zur Gewalt?, Vortrag auf der Reformierten Konferenz Südwestfalen am 02.03.2002 in Siegen-Eiserfeld. So Ebach in Abwandlung eines Zitats von Theodor W. Adorno, Negative Dialektik. Gesammelte Schriften 6, hg. v. Gretel Adorno / Rolf Tiedemann, Frankfurt a.M. 1973, 391: „Nur wenn, was ist, sich ändern lässt, ist das, was ist, nicht alles.“

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