In vier Fraktionen teilten sich unsere Väter [und Mütter] am Meer. Eine sagte: Wir werden uns ins Meer stürzen; und eine sagte: Lasst uns nach Ägypten zurückkehren. Und (noch) eine sagte: Wir werden gegen sie Krieg führen; und eine (weitere) sagte: Lasst uns angesichts ihrer (zu Gott) flehen. Denen, die sagten: Wir werden uns ins Meer stürzen, sagte Moses: „Steht fest und seht die Hilfe Gottes“. Denen, die sagten: Lasst uns nach Ägypten zurückkehren, sagte Moses: „Denn die, die ihr heute seht, die Ägypter, die werdet ihr fortan nicht wiedersehen bis in Ewigkeit“. Denen, die sagten: Wir werden gegen sie Krieg führen, sagte Moses: „Gott wird für euch streiten“. Und denen, die sagten: Lasst uns angesichts ihrer (zu Gott) flehen, sagte Moses: „Ihr sollt still sein“. (Jerusalemer Talmud, Taanit 2:5)
Obiger Text der Tradition, den Rabbinerin Dr. Ulrike Offenberg beim Netzwerktreffen jüdisch-christlicher Dialog in Niedersachsen schon im Februar vorstellte, begleitet mich seither durch die Kakophonie der Pandemiepolitik und die Endlosschleife ihrer Wiederholungen in den Medien und privaten Gesprächen allerorten. Und wieder einmal finde ich Trost darin, dass die alten Texte so unmittelbar in die Gegenwart sprechen und ihnen nichts Menschliches fremd ist.
In diesem Jahr ist Exodus 14, 8-15, auf das sich die Rabbinen hier beziehen und es ausmalen, Predigttext am Ostersonntag in den evangelischen Kirchen. Mit großen Lücken schreitet der Predigttext allerdings rasch zu Miriams Triumphlied nach dem Durchzug durch das Rote Meer in Ex 15, 20 voran. Tatsächlich stecken wir aber im zweiten Jahr im österlichen Corona-Lockdown fest, eingeklemmt zwischen einer weltumspannenden Virusseuche und den Sintfluten der Erderwärmung – und zanken wie die Kesselflicker.
Die Antwort des rabbinischen Mose
Vielleicht sollte jede*r statt des voreiligen Osterjubels diejenige Antwort des rabbinischen Mose vom (am besten virtuellen) Ostergottesdienst mit nach Hause nehmen, die ihm/ihr am meisten weh tut: Die Mutlosen „Steht fest und seht die Hilfe Gottes“. Diejenigen, die nichts als zurück ins alte (klimaschädliche) Leben wollen: „Denn die, die ihr heute seht, die Ägypter, die werdet ihr fortan nicht wiedersehen bis in Ewigkeit“. Diejenigen, die meinen, sie würden es alles besser regeln, wenn man sie nur ließe: „Gott wird für euch streiten“. Und diejenigen, die lauthals Querdenker-Erlöser anbeten: „Ihr sollt still sein“.
Dr. Judith Rohde ist Tiermedizinerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Tierärzliche Hochschule Hannover. 2019 erhielt sie für ihr Engagement im Bereich des christlich-jüdischen Dialogs den Blickwechselpreis
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