Verblüffen und überraschen – das gehört zu jeder Religion. Dinge wahrnehmen und erfahren, die man sich nicht hätte ausdenken können; etwas spüren, was sich neu und gar fremd anfühlt; unterbrochen werden im üblichen Erfahrungsfluss: Man nennt es auch Offenbarung. Das, was man sich nicht selbst sagen kann, meist wirkt es verunsichernd, oft befreiend. Verblüffung und Überraschung – das gehört auch zu jedem guten Humor. Die Dinge plötzlich ganz anders sehen; eine andere Perspektive einnehmen, die ganz gewitzt sein kann, wie hier bei diesem halbwüchsigen Jungen, der zu seinem Vater spricht: “Hier ist mein Zeugnis. Und hier eine von mir zusammengestellte Liste renommierter Unternehmer, die nie das Abitur gemacht haben.”
Jesus konnte verblüffen und überraschen, auch schon als Junge, durch ungewöhnliches Verhalten und Klugheit. So erzählt es das Lukasevangelium. Doch seine Eltern waren darüber nicht gerade begeistert. Es wird erzählt wie Maria, Jesus und Joseph jedes Jahr zum Passahfest nach Jerusalem reisen. Jetzt sind sie wieder auf der Heimreise und vermissen ihren zwölfjährigen Sohn. Alle, die Eltern sind, können sich die Panik vorstellen. Sie finden ihn schließlich, aber erst nach ganzen drei Tagen, die sie ihn in Jerusalem suchen. Da sitzt der er doch tatsächlich im Tempel, bei den Großen und Gelehrten, hört zu und stellt Fragen, gibt Antworten, als hätte er bereits ein ganzes Torastudium absolviert. „Alle aber, die ihn hörten, waren über seine Einsicht und seine Antworten verblüfft.“ Lukas 2,47
Altklug, hat man früher zu solchen Kindern gesagt. Manche davon sind hochbegabt, andere einfach vorlaut. Aber dieser Junge scheint es in sich zu haben. Für die Eltern ist es vor allem auch überraschend, was für ein Bild sich ihnen da bietet. Erst dann stellt sich die typische Mischung aus Ärger und Erleichterung ein, die sicher alle Eltern nachvollziehen können. „Kind, was hast du uns angetan? Sieh mal, dein Vater und ich, wir haben dich schmerzlich gesucht.“ (Vers 48) Doch anstatt den Kopf einzuziehen, antwortet Jesus sehr selbstbewusst und fragt sogar noch zurück, warum sie ihn überhaupt gesucht hätten. Dann spricht er davon, dass er unter denen sein muss, die zu seinem Vater gehören (Vers 49). Unverständnis bei den Eltern, immerhin geht er dann doch wieder mit ihnen mit nach Hause.
Die Fortsetzung gibt es erst viele Jahre später, da ist Jesus längst erwachsen, aber die Menschen um ihn herum reagieren weiterhin mit Verblüffung und Überraschung. Weil es nicht so schnell einzuordnen ist, was sie hören und sehen und erleben. Weil es ihnen schräg vorkommt, merkwürdig, komisch. In diesem Sinne ist das Allermeiste komisch in den biblischen Erzählungen. Für uns heute auch noch? Eher nicht, denn vielen sind die Geschichten sehr vertraut, sie haben oftmals darüber gelesen, Predigten gehört oder gar selbst darüber gepredigt. Andererseits wächst die Zahl derjenigen, denen die Geschichten völlig unbekannt sind. Sie könnten den einen wieder das Staunen und die Verblüffung lehren. Denn ich denke, das wollen biblische Erzählungen vor allem: Uns herausholen aus den üblichen Sicht- und Deutungsweisen. Etwas sagen, was wir eben nicht schon immer wussten.
Mich verblüfft gleich mehreres, was mir bislang nicht so im Kopf war, so zum Beispiel:
Jesus stellt Fragen, er gibt nicht nur Antworten. Welche Fragen will ich stellen?
Das ist ein intergeneratives Gespräch und die Gelehrten respektieren offensichtlich den 12-Jährigen.
Was könnte ich heute von einem 12-Jährigen lernen?
Gisela Matthiae (Jahrgang 1959), promovierte ev. Theologin, lebt in Gelnhausen und arbeitet an ganz verschiedenen Orten als freie Referentin, in der Ausbildung von Kirchenclowns und Begegnungsclowninnen (im Altenheim) und als Komödiantin selbst auf der Bühne; in der Bibel findet sie erstaunliche Spuren von Humor und Komik, die ihren Glauben nähren. Ihren eigenen Blog “Humorladen” finden Sie hier.
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