Jüdisches für Nicht-Jüdinnen – Parasch Ki Tisa 2. Mose 30, 18-21
Er sprach zu Mose: »Lass ein bronzenes Waschbecken und ein bronzenes Untergestell dazu anfertigen. Das sollst du zwischen Begegnungszelt und Altar aufstellen und es mit Wasser füllen. Aaron und seine Söhne sollen sich an ihm Hände und Füße waschen. Jedesmal wenn sie in das Zelt hineingehen, müssen sie sich mit Wasser abspülen, damit sie nicht umkommen. Die Waschung ist auch erforderlich, bevor sie sich dem Altar nähern, um ein Opfer für die Ewige darauf in Rauch aufgehen zu lassen. Sie sollen Hände und Füße abwaschen, damit sie nicht sterben. Das ist für alle nachfolgenden Generationen eine für immer verbindliche Vorschrift.«
Händewaschen ist in Corona-Land in aller Munde. Da passt es gut, dass der Leseabschnitt in den Synagogen von vergangenem Samstag (Parascha Ki Tisa, 14. März 2020) Anlass gibt, sich mit dem rituellen Waschen zu beschäftigen.
Das rituelle Händewaschen im Judentum z.B. vor dem Verzehr von Brot ist keine Hygienevorschrift. Es setzte mit Wasser und Seife peinlich gesäuberte Hände voraus (Achtung: Fingernägel!). In Zeiten von Corona-Virus-Infektionen bedeutet das besonders intensives Waschen und so lange, dass frau dabei zwei Mal „Alle meine Entchen singen kann“. Obgleich Nicht-Jüdin, finde ich es spannender, die neugewonnene Wertschätzung des Händewaschens mit einigen Gedanken aus dem Judentum anzureichern, als Kinderlieder zu singen.
Für das rituelle Händewaschen (Netillat Jadajim) benötigt frau drei Dinge (- und ja, Händewaschen ist, anders als viele zeitgebunden Gebote sonst, auch eines, an das Frauen verpflichtend gebunden sind!):
- Wasser
- einen Becher
- Menschliche Kraft, um Wasser zu schöpfen und es über die erhobenen (Netillat) Hände (Jadajim) auszugießen
Fangen wir mit dem dritten Punkt an. Sich an die Ritualvorschriften zu halten, ist ein Kraftakt. Immer wieder muss frau sich überwinden, „das extra Stück Wegs“ zu gehen. Bequemlichkeit und Gewohnheit sind falsche Freunde, die mich gerne daran hindern, meine Hände und mich selbst aus dem Alltagstrott zu erheben, und mich Gott zuzuwenden.
Jetzt zum Wasser: Wichtig ist, dass das Wasser über die Hände ausgegossen wird, nicht die Hände darin gebadet werden. Das Wasser soll fließen, lebendig sein – so wie ich. Beweglich, spontan, ungebändigt, frei, erfrischend, erneuernd.
Schließlich: warum (auch heute noch) der Becher, warum nicht das Wasser aus dem Wasserhahn, es fließt doch auch? Der Becher gibt dem Wasser Maß und Ordnung, es verleiht ihm Halt und Form, so wie das Gebot des Händewaschen zusammen mit anderen Geboten, Regeln und Traditionen dem Leben einen Rahmen und eine Verlässlichkeit ihm Strom der Zeit und den Irrungen der Welt geben.
Ein chassidischer Weiser, Rabbi Nachman von Breslow (Brazlaw), erklärt, warum die Hände (heute nur und nicht wie zur Zeit des Tempels auch die Füße der Priester) gewaschen werden: Die Zahl der 28 Gelenke in den Fingern beider Hände entspricht dem Buchstabenzahlenwert des hebräischen Wortes Koach כח, das Kraft, Energie, Stärke bedeutet. Wenn ich mit meinen Händen heilige Handlungen vollziehe, dann bringe ich göttliche Kraft und Stärke in die Welt. Die Hände sind mein vorrangigstes moralisches Instrumentarium: ich schlage und ich heile mit ihnen, ich schiebe andere weg oder ich ziehe sie an mich, ich schließe meine Hand geizig um meinen Besitz oder ich teile ihn freudig mit anderen. Und wenn ich fröhlich in die Hände klatsche, so Rabbi Nachman, wird die Erde unter mir so heilig wie das Land Israel. Mit dem Waschen der Hände bereite ich mich darauf vor, sie dafür zu nutzen, zu teilen, zu beten, zu heilen, zu arbeiten und Lebensfreude zu empfinden.
Ach ja, und natürlich ist das Ritual auch eine Erinnerung an den Opferdienst, der seit der Zerstörung des Tempels 70 n.d.Z. nicht mehr getan werden kann. Für die Katholikinnen oder Ökumenikerinnen unter uns: wir kennen diese Reminiszenz von der Eucharistie, wenn die Ministrant*innen dem Priester vor dem Hochgebet mit der Wandlung das Wasser für die Handwaschung über die Hände gießen. So wie es Aaron und seine Söhne tun sollten. Aber das rabbinische Judentum hat diese Pflicht demokratisiert und an alle übertragen, auch an Frauen.
Judith Rohde 15. März 2020
Unter Verwendung von: https://judentum.online | https://www.myjewishlearning.com (15.3.2020)
Dr. Judith Rohde ist Tiermedizinerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Tierärzliche Hochschule Hannover. 2019 erhielt sie für ihr Engagement im Bereich des christlich-jüdischen Dialogs den Blickwechselpreis
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